Schlagwort: Rassismus

  • Rezension: Vierhundert Seelen

    Rezension: Vierhundert Seelen

    Infos:

    • 400 Seelen – Die Geschichte des Afrikanischen Amerika 1619 – 2019
    • Herausgeber*innen: Ibram X. Kendi / Keisha N. Blain
    • Verlag: btb
    • Hardcover, 672 Seiten
    • Erschienen: 11.12.2024
    • ISBN: 978-3-442-75986-6
    • Essays von 80 Schwarzen Autor*innen
    • Gedichte von 10 Schwarzen Dichter*innen
    • Originaltitel: Four Hundred Souls
    • Originalverlag: One World Publishing
    • Übersetzer*innen: Aus dem Amerikanischen von Sylvia Bieker, Aminata Cissé Schleicher, Bernd Gockel, Dominique Haensell, Ruth Keen, Marion Kraft, Andrea Kunstmann, Melody Makeda Ledwon, Elke Link, Felix Mayer, Mirjam Nuenning, Anna von Rath, Jacob Thomas, Alexander Wagner, Eleonore Wiedenroth-Coulibaly, Henriette Zeltner-Shane

    Klappentext:

    Im Nummer-1-New-York-Times-Bestseller der Herausgeber Ibram X. Kendi und Keisha N. Blain erzählen 80 außergewöhnliche Stimmen die vierhundertjährige Geschichte des afrikanischen Amerikas von 1619 bis in die unmittelbare Gegenwart.

    Die Geschichte beginnt 1619, ein Jahr vor der Ankunft der Mayflower, als die White Lion etwa 20 »negroes« an der Küste Virginias ausspuckt und damit die afrikanische Präsenz in den späteren Vereinigten Staaten einleitet. Sie führt uns quer durch den enormen Einfluss der Schwarzen auf die Geschicke der jungen Nation.

    Ibram X. Kendi und Keisha N. Blain versammeln 80 Autorinnen und Autoren, die sich der Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln nähern: durch die Augen großer historischer Ikonen oder durch die unerzählten Geschichten einfacher Menschen, durch Orte, Gesetze und Gegenstände. Während sich Themen wie Widerstand und Kampf, Hoffnung und Neuerfindung wie ein roter Faden durch das Buch ziehen, entfaltet diese Sammlung eine verblüffende Bandbreite an Erfahrungen und Ideen, die es in der Community der Schwarzen in Amerika immer gegeben hat. So erzählt dieses Buch u.a. von Leid und Trauma, von Unterdrückung und Befreiung, vom Kampf um Selbstbestimmung und rechtliche Gleichstellung, von gewaltigen Pionier- und Heldentaten, von der Entwicklung von Swing, Rock’n’Roll, Soul, Funk und HipHop und der Entstehung der Black-Lives-Matter-Bewegung.

    Vierhundert Jahre Afrikanisch-Amerikanische Geschichte: Eine Reise voll von unmenschlicher Gewalt, visionären Kämpfen und erstaunlichen Errungenschaften.

    Das Buch liegt auf Rindenmulch und ist mit einem Baumwollzweig dekoriert.
Afrika Amerika Rassismus Sklaverei
    Link zum Buch

    Meine Meinung:

    Das Buch ist mit seinen fast 700 Seiten ein wahres Schwergewicht. Ich finde es wichtig, etwas über die Geschichte zu lernen, die (bisher) nicht in der Schule behandelt wurde oder wird. Es ist wichtig, auch diese furchtbaren und tragischen Schicksale sichtbar zu machen und Schwarzen Menschen eine Stimme zu geben.

    Darum finde ich dieses Buch wirklich gut.

    Hierin kommen Menschen zu Wort, die viel zu oft übersehen, klein geredet oder mundtot gemacht wurden.

    Obwohl so viele Autor*innen an diesem Buch mitgewirkt haben und jede Geschichte auf ihre Weise einzigartig ist und auch für sich stehen kann, erzählt das Buch chronologisch die Geschichte des Schwarzen Amerika, vielfach verflochten mit der heutigen Zeit und ihrer Entwicklung.

    Es beginnt mit der Tatsache, dass die Mayflower, die heute mit dem Thanksgiving Fest überhöht und gefeiert wird, nicht das erste Schiff war, dass an der amerikanischen Küste anlegte. Und dass ihre Passagiere nicht die ersten Menschen waren, die das Land betraten.

    Aber wer, der nicht der Schwarzen Community angehört, hat denn schon von der White Lion gehört?

    Zitat:

    „Allerdings war ein Jahr vor der Mayflower, im Jahr 1619, ein anderes Segelschiff an eben derselben Ostküste vor Anker gegangen. Sein Name war White Lion, und es sollte ebenfalls eines der bedeutendsten Schiffe in der Geschichte der USA werden. Jedoch gibt es kein Verzeichnis mit den Namen der Menschen an Bord und keine Nachfahrengesellschaft.“1

    Manche der Texte erzählen das Schicksal einzelner Afrikaner*innen und ihrer Nachfahren, manche Texte wissen von bedeutsamen Ereignissen zu berichten und setzen diese in den Kontext des großen Ganzen.

    Es werden die Auswirkungen der verschiedenen Gesetze beleuchtet, die den Rassismus gestärkt und die weiße Bevölkerung bevorzugt haben. Es wird über den Konflikt der christlichen Kirchen gesprochen, nach denen jeder Mensch frei ist, der die Taufe empfangen hat, was allerdings nicht für die Schwarzen Sklaven galt. Dabei wurden hanebüchene Begründungen erfunden und Gesetze verabschiedet, die die Vorherrschaft der weißen Bevölkerung und die Eigentumsrechte an Schwarzen Sklaven zementierten.

    Beim Lesen schwankte ich zwischen Wut und Empörung, wie man mit anderen Menschen so unwürdig und gewalttätig umgehen kann, aber ich habe auch größten Respekt und Hochachtung vor dem Willen und dem Durchhaltevermögen der Afro-Amerikaner, sich ihren Platz in der Gesellschaft immer wieder neu zu erstreiten und dem Wunsch aktiv daran mitzuwirken.

    In diesem Buch geht es nicht nur um Baumwolle und den Grund, warum diese vielen Menschen versklavt wurden. Es geht auch um die Ausbeutung der Menschen, auf deren Rücken ein ganzes Land wachsen konnte.

    Zitat:

    „In weniger als zwanzig Jahren sorgte die Sklavenwirtschaft für eine akademische Revolution, die die Anzahl der Colleges verdreifachte und die Bildungsgeografie der ganzen Nation veränderte.

    Die Expansion des Hochschulwesens folgte den Bewegungen der Plantagensklaverei nach Süden und Westen.“2

    Aber es geht nicht nur um Sklaverei und Ausbeutung. Es geht um Widerstand, Hoffnung, Gleichberechtigung, Wertschätzung, Selbstbestimmung und Verbundenheit. Die Schwarze Community begreift sich mittlerweile als zusammen gehörend, um so ihre Bedürfnisse und Wünsche für ein selbst bestimmtes und gleichberechtigtes Leben in Freiheit gemeinsam zu erfüllen.

    „Angelos Bruder, Milton Herndon, starb im Spanischen Bürgerkrieg im Kampf gegen Francos Truppen. Er erklärte damals seinen Männern, warum er sich den Brigaden angeschlossen hatte: „Gestern Äthopien. Heute Spanien. Morgen vielleicht Amerika. Der Faschismus macht vor nichts Halt – wenn wir ihn nicht aufhalten.“ Seine Worte haben ihre Gültigkeit bis heute nicht verloren.“3

    Ich kann dieses Buch wirklich sehr empfehlen. Man muss nicht jeden Aspekt der Afro-Amerikanischen Geschichte kennen, um in diesem Buch einen Mehrwert zur Geschichtsschreibung zu erkennen. Es ist hoffnungsvoll, kämpferisch, mutig und poetisch. Ja, auch die Gedichte verdienen Aufmerksamkeit. Sie sind in der deutschen Ausgabe im englischen Original und der deutschen Übersetzung abgedruckt.

    Es wurde aus unterschiedlichen Perspektiven und mit den verschiedensten Stimmen geschrieben. Es ist es wert, gelesen zu werden.

    Ergänzend:

    Im Bild habe ich einige meiner Bücher von PoC-Autor*innen versammelt:

    Bücher Schwarzer Autor*innen:
400 Seelen / Meine Schwester, die Serienmörderin / Wir brauchen neue Namen / Harlem Shuffle / Underground Railroad / Schwarzes Herz / Country Place

    Rezensionen:

    Hinweise zu den Zitaten:

    1. Seite 24, Autorin: Nikole Hannah-Jones, Übersetzerin: Eleonore Wiedenroth-Coulibaly ↩︎
    2. Seite 269, Autor: Craig Steven Wilder, Übersetzerin: Sylvia Bieker ↩︎
    3. Seite 459, Autor: Robin D.G. Kelley, Übersetzerin: Ruth Keen ↩︎

  • Rezension: Harlem Shuffle

    Rezension: Harlem Shuffle

    Infos:

    • Autor: Colson Whitehead
    • Verlag: btb
    • Originialverlag: Hanser
    • Aus dem Amerikanischen von: Nikolaus Stingl
    • Taschenbuch, Broschur, 384 Seiten
    • ISBN: 978-3-442-77201-8
    • Erschienen am 11. Mai 2023

    Klappentext:

    Im schillernden Harlem der sechziger Jahre, wo Gangster und Zuhälter, Hochstapler und Schießwütige die Strippen ziehen, versucht ein Mann aus einfachen Verhältnissen so ehrlich wie möglich aufzusteigen. Doch nach kleineren Gaunereien steht er plötzlich mit Raubgut aus einem Luxushotel alleine da. Polizei und Gangster tauchen in seinem Einrichtungsladen auf und nach und nach zieht sich die Schlinge um seinen Kopf immer fester.
    Der mitreißende Roman des zweifachen Pulitzer-Preisträgers Colson Whitehead ist Familiensaga, Soziographie und Ganovenstück, vor allem aber eine Liebeserklärung an New Yorks berühmtestes Viertel.

    • »Hat alles, was einen guten Roman ausmacht … ihr Tempo aber hat sich die Geschichte vom Kino geborgt.«
    • »Intimer, burlesker, schneller, böser, auch humorvoller als die Vorgängerromane und belegt einmal mehr, dass dieser Autor aus jedem Werk etwas neues machen will.«
    • »Harlem Shuffle ist weit mehr als ein Kriminalroman – es ist ein Buch über Amerika im Umbruch.«
    • »Großes Kino … Der vielleicht größte Trumpf von Harlem Shuffle ist Whiteheads Fähigkeit, Atmosphäre zu erzeugen.«
    • »Whitehead porträtiert in seinem wundervollen neuen Roman das Harlem der sechziger Jahre. … gleichermaßen unterhaltsam wie Gesellschaftsstudie und Zeitporträt. «
    • »Grandios unterhaltsam und humorvoll … Harlem Shuffle ist leicht und geht doch tief unter die Haut.«
    • »Ein großer Spaß! Colson Whitehead spielt mit dem Krimi-Genre so lässig wie ein Jazzvirtuose mit einem Broadway-Schlager … ein zeitloses Sittengemälde Amerikas.«
    Link zum Buch

    Meine Meinung:

    Von Colson Whitehead habe ich bereits Underground Railroad gelesen. Da mir das Buch gefallen hat, habe ich mich sehr gefreut, als mir der Verlag Harlem Shuffle als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat. Meine Rezension zu Underground Railroad findet Ihr hier.

    Nun aber zu meiner Meinung zu Harlem Shuffle.

    Underground Railroad erzählt die Geschichte des gleichnamigen Fluchtnetzwerkes, das die Sklaven in den Vereinigten Staaten aufgebaut hatten, spielt aber mit fantastischen Einflüssen.

    Bei Harlem Shuffle spielt der Autor gekonnt mit dem Image des Harlems der 1960er Jahre. Dabei verwendet er eine direkte und fesselnde Sprache, die ein atmosphärisches Sittengemälde der damaligen Zeit bildet.

    Das Buch ist in drei Teile aufgeteilt. Teil 1 beginnt 1959, Teil 2 erzählt die Geschichte nach einem Sprung um 2 Jahre weiter und Teil 3 endet dann 1964. Hauptsächlich wird die Geschichte von Ray Carney erzählt, der in der bürgerlichen Mittelschicht lebt und versucht, seiner Familie ein gutes Leben zu ermöglichen. Dies erreicht er dadurch, dass er hin und wieder Abstecher in kriminelle Gefilde macht. Sein Cousin Freddie und andere Kleinkriminelle versorgen ihn mit gestohlener Ware, deren Herkunft er nicht hinterfragt und an verschiedene Hehler vermittelt. Das so erwirtschaftete Zusatzeinkommen verwendet er zum Ausbau seines legalen Möbelgeschäfts und um Polizisten und Gangsterbosse zu bezahlen.

    Der Kriminalroman um Carney wird umrahmt von den Rassenunruhen der 60er Jahre und nimmt Bezug auf die Geschichte der Sklaverei und des Rassismus in Amerika. Dies wird auch anhand der Ehefrau von Ray thematisiert, die in einem Reisebüro für Schwarze arbeitet, die vor allem sichere Reiserouten und Unterkünfte im rassistischen Amerika benötigen. So streut Colson Whitehead auch wieder Gesellschaftskritik in seinem Roman ein, der aber diesmal auch mit Witz und Humor ein leichteres Lesevergnügen bereithält. Er beleuchtet die unterschiedlichen Gesellschaftsschichten und zeigt auf, dass einen der Standesdünkel nicht vor Schaden schützen kann.

    Mir hat das Buch sehr gefallen. Ich habe beim Lesen mit Ray mit gefiebert und gerne seine Erfolge und sein Scheitern begleitet. In meinem Kopf lief die Handlung wie auf einer Leinwand ab. Dabei fühlte ich mich an die alten Krimifilme der 60er Jahre erinnert. Teilweise waren die Bilder in meinem Kopf sogar in schwarz-weiß, wenn z. B. Ray mit dem Polizisten im Auto unterwegs ist.

    Ich kann das Buch jedenfalls wärmstens empfehlen. Die Atmosphäre der 60er Jahre in Harlem ist direkt greifbar.