Rezension: Die Wut, die bleibt

Cover Rezension

Infos:

  • Roman von Mareike Fallwickl
  • Verlag: Rowohlt Buchverlag
  • Erscheinungstermin: 22.03.2022
  • 384 Seiten
  • ISBN: 978-3-498-00296-1

Über das Buch:

Mareike Fallwickls Roman über die Last, die auf den ­Frauen ­abgeladen wird, und das Aufbegehren: ­radikal, wachrüttelnd, empowernd.

Drei Frauen: Die eine entzieht sich dem, was das Leben einer Mutter zumutet. Die anderen beiden, die Tochter und die beste Freundin, müssen Wege finden, diese Lücke zu schließen. Ihre Schicksale verweben sich in diesem bewegenden und kämpferischen Roman darüber, was es heißt, in unserer Gesellschaft Frau zu sein.

Helene, Mutter von drei Kindern, steht beim Abendessen auf, geht zum Balkon und stürzt sich ohne ein Wort in den Tod. Die Familie ist im Schockzustand. Plötzlich fehlt ihnen alles, was sie bisher zusammengehalten hat: Liebe, Fürsorge, Sicherheit.
Helenes beste Freundin Sarah, die Helene ihrer Familie wegen zugleich beneidet und bemitleidet hat, wird in den Strudel der Trauer und des Chaos gezogen. Lola, die älteste Tochter von Helene, sucht nach einer Möglichkeit, mit ihren Emotionen fertigzuwerden, und konzentriert sich auf das Gefühl, das am stärksten ist: Wut.

Mareike Fallwickl skizziert in diesem feministischen Roman auf drastische Weise, was geschieht, wenn eine erschöpfte Mutter aufgibt, beschreibt die Lücken, die sie hinterlässt und die weibliche Wut, die bleibt. Sie seziert Tabuthemen, veraltete Rollenbilder und legt den Finger in die klaffenden Wunden unserer Gesellschaft.

Die Wut, die bleibt.
Das Buch im Vordergrund, im Hintergrund eine Theaterbühne vor Beginn der Vorstellung.
Link zum Buch

Über die Autorin:

Mareike Fallwickl, 1983 in Hallein bei Salzburg geboren, lebt mit ihrer Familie im Salzburger Land. 2018 erschien Dunkelgrün fast schwarz. 2019 folgte Das Licht ist hier viel heller. Ihr Bestseller Die Wut, die bleibt war ein großer Erfolg bei Presse und Publikum. Die Bühnenfassung hatte im Sommer 2023 Premiere bei den Salzburger Festspielen. Mareike Fallwickl setzt sich für Literaturvermittlung ein, mit Fokus auf weiblichen Erzählstimmen. 

Meine Meinung zum Buch und Theaterstück:

Bei einer Geburtstagsfeier unterhielt ich mich mit meiner Cousine über das Buch Die Wut, die bleibt. Sie hatte das Buch im Urlaub gelesen und wollte wissen, ob ich es auch schon gelesen habe, da sie sich unbedingt mit jemandem über den Inhalt austauschen wollte.

Ich hatte es zwar bereits zu Hause liegen, aber es noch nicht gelesen. Ich hatte allerdings gesehen, dass es bei uns ein Theaterstück gab und wollte eigentlich dort hin gehen. Meine Cousine war begeistert und wir nahmen uns vor, gemeinsam ins Theater zu gehen.

Vorher wollte ich das Buch gerne lesen, was ich im Oktober auch tat. Auch ich wurde vom Gelesenen mitgerissen und war fest entschlossen, ins Theater zu gehen.

Anfang Dezember war es dann so weit und meine Cousine und ich gingen zusammen in das Stück.

An diesem Abend gab es vorab eine Einführung in das Stück und einige informative Hintergründe über das Buch und wie die Autorin auf die Idee kam, es zu schreiben. Wegen dieser Einführung hatten wir auch diesen Termin ausgewählt.

Einführung zum Stück vor Beginn der Vorstellung. Die Wut, die bleibt.

Mareike Fallwickl sprach während des Lockdowns mit Freundinnen, die genau wie sie zwischen Homeoffice und Homeschooling festsaßen und diese Situation nicht mehr lange ertrügen. Einige äußerten, dass sie sich bald vom Balkon werfen würden, falls es nicht bald Lockerungen gäbe. Zu der Zeit waren die Impfungen und Lockerungen, die bald darauf folgen würden, noch nicht abzusehen. Aber diese Aussagen und die ganze Situation konnte die Autorin nachvollziehen und schrieb daraufhin Die Wut, die bleibt.

Die Wut, die bleibt.
Das Buch im Vordergrund, im Hintergrund eine Theaterbühne vor Beginn der Vorstellung.

Die erste Seite des Buches ist wirklich heftig. Wer aber weiter liest, wird mit einer großartigen Geschichte belohnt.

Der Roman beginnt mit dem Selbstmord von Helene. Anschließend erzählt die auktoriale Erzählerin wechselnd aus der Sicht von Lola und Helenes bester Freundin Sarah. Zwischendurch gibt es auch Rückblicke, wenn Helene als Geist in Sarahs Alltag auftaucht.

Helene hat sich die meiste Zeit um die Kinder und den Haushalt gekümmert, während ihr Mann sich darauf verlassen hat, dass zu Hause alles funktioniert, während er arbeitet und generell wenig zu Hause ist. Nach ihrem Tod ist er völlig überfordert mit den Anforderungen, die Kindererziehung und Carearbeit mit sich bringen und flüchtet sich zurück in seinen Alltag, sobald Sarah sich bereit erklärt, die Familie ihrer besten Freundin zu unterstützen. Sie selbst kann durch ihre schriftstellerische Arbeit, ihren Alltag umorganisieren, um sich um die Kinder und den Haushalt zu kümmern, merkt aber schnell, dass ihr alles zu viel wird. Dadurch kann sie nach und nach die Situation ihrer Freundin nachvollziehen. Sie findet jedoch lange nicht die Kraft, sich für ihre eigenen Bedürfnisse einzusetzen und sich gegenüber Johannes und ihrem Freund Leon durchzusetzen.

Am Beispiel von Helene zeigt Mareike Fallwickl sehr eindringlich den Konflikt zwischen Familie, Arbeit und Selbstfürsorge, dem Frauen permant in ihren Leben ausgesetzt sind.

Lola beginnt, ihre Trauer und Wut auf ihre Mutter gegen ihren eigenen Körper zu richten, was mit Selbstverletzung und ungesundem Essverhalten einhergeht. Die Anerkennung ihrer Mitschüler:innen auf ihren irgendwann dünneren Körperbau findet sie erst gut, bis sie mit ihrer Freundin einem gewalttätigen Übergriff zum Opfer fällt. Daraufhin entschließen sich die beiden, zu einem Selbstverteidigungskurs zu gehen. Dort lernen sie auch, die Bedürfnisse ihres Körpers zu achten und werden selbstbewusster.

Ein Grundthema des Buches ist physische und psychische Gewalt. Die verschiedenen Formen der Gewalt werden schonungslos und doch sensibel erzählt. Beim Lesen war ich oft sehr wütend über die Ungerechtigkeiten und Benachteiligungen, denen Frauen immer noch ausgesetzt sind. Die Antwort, die Lola und ihre Freundinnen darauf finden, habe ich insgeheim doch sehr gefeiert. Sie handeln so, wie Männer es seit Jahrhunderten oft ungestraft tun, haben aber einen anderen Beweggrund. Sie versuchen, Frauen und Mädchen eine Stimme und Sicherheit zu geben.

Beide Frauen entwickeln sich im Verlauf der Geschichte weiter, was logisch und verständlich beschrieben wird.

Ich konnte mich mit beiden Figuren identifizieren. Als Tochter und kinderlose Frau kann ich vieles nachvollziehen, was Sarah und Lola bewegt. Die Schwierigkeiten und schönen Seiten der Kindererziehung kenne ich zwar nicht aus erster Hand, aber besitze genug Vorstellungsvermögen und kenne ausreichend Beispiele im eigenen Umfeld, die mich die Perspektiven verstehen lassen.

Mareike Fallwickl hat ein feministisches, zorniges, empowerndes und spannendes Buch geschrieben, das für alle Frauen spricht. Es polarisiert, provoziert und regt zum Nachdenken und zu Diskussionen an. Es bleibt der Gedanke, dass wir das Patriarchat nur überwinden können, wenn wir Frauen zusammen halten. Sichtbarkeit und gegenseitige Wertschätzung sind die ersten Schritte, um die Fesseln zu sprengen, die uns klein halten.

Ein paar Worte zum Stück

Das Theaterstück beginnt, anders als das Buch, mit einem Monolog von Helene, der im Buch erst am Ende steht. Dieser Monolog, der die Geburt von Lola und die tiefen Gefühle der Mutter beinhaltet, wurde so gefühlvoll und berührend transportiert, dass mir bereits in diesem Moment die Tränen liefen.

Helene ist im Theaterstück die Erzählerin und auch im Stück kann Sarah sie sehen und mit ihr sprechen. Das finde ich großartig umgesetzt. So wird das Leben der beiden Frauen in Rückblicken beleuchtet

Überhaupt war das ganze Theaterstück eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Ich würde sogar sagen, das Stück hat mich noch viel stärker berührt als das Buch. Die Kombination aus Handlung, Gefühlen wie Wut, Trauer und Liebe und der Akustik haben mich dermaßen gefesselt und bewegt, dass ich am Ende des Stückes völlig fertig war und mein Ärmel nass geweint war (dummerweise hatte ich meine Taschentücher in meiner Handtasche im Spind eingeschlossen..). Meiner Cousine war es ganz genauso gegangen.

Nach dem Schlussakt gab es einen minutenlangen, stehenden Applaus aller Zuschauer:innen. Es waren übrigens hauptsächlich weiblich gelesene Personen. Männer waren eindeutig in der Minderheit.

Auf dem Heimweg hatten meine Cousine und ich auf jeden Fall viel Stoff zum Diskutieren.

Wir hatten einen großartigen Abend, den wir gerne wiederholen möchten.

Die leere Bühne nach der Aufführung mit herumliegenden Requisiten. Die Wut, die bleibt.

Falls Ihr Euch für den Soundtrack des Stücks interessiert, schaut mal bei Spotify vorbei. Dort hat das Schauspielhaus Hannover eine Playlist angelegt. Es sind großartige Songs dabei: Link

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