Rezension: Die Hauptstadt von Robert Menasse

Klappentext:

Der große europäische Roman

In Brüssel laufen die Fäden zusammen – und ein Schwein durch die Straßen. Fenia Xenopoulou, Beamtin in der Generaldirektion Kultur der Europäischen Kommission, steht vor einer schwierigen Aufgabe. Sie soll das Image der Kommission aufpolieren. Aber wie? Sie beauftragt den Referenten Martin Susman, eine Idee zu entwickeln. Die Idee nimmt Gestalt an – die Gestalt eines Gespensts aus der Geschichte, das für Unruhe in den EU-Institutionen sorgt. David de Vriend dämmert in einem Altenheim gegenüber dem Brüsseler Friedhof seinem Tod entgegen. Als Kind ist er von einem Deportationszug gesprungen, der seine Eltern in den Tod führte. Nun soll er bezeugen, was er im Begriff ist zu vergessen. Auch Kommissar Brunfaut steht vor einer schwierigen Aufgabe. Er muss aus politischen Gründen einen Mordfall auf sich beruhen lassen; ≫zu den Akten legen≪ wäre zu viel gesagt, denn die sind unauffindbar. Und Alois Erhart, Emeritus der Volkswirtschaft, soll in einem Think-Tank der Kommission vor den Denkbeauftragten aller Länder Worte sprechen, die seine letzten sein könnten.

In seinem Roman spannt Robert Menasse einen weiten Bogen zwischen den Zeiten, den Nationen, dem Unausweichlichen und der Ironie des Schicksals, zwischen kleinlicher Bürokratie und großen Gefühlen. Und was macht Brüssel? Es sucht einen Namen – für das Schwein, das durch die Straßen läuft. Und David de Vriend bekommt ein Begräbnis, das stillschweigend zum Begräbnis einer ganzen Epoche wird: der Epoche der Scham.

Als gebundenes Buch 2017 im Suhrkamp Verlag erschienen.

459 Seiten

Das Buch ist mittlerweile auch als Taschenbuch erhältlich.

Ich danke dem Verlag sehr für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars. Dies hat meine Meinung nicht beeinflusst.

Meine Meinung:

Gut recherchierte EU-Satire mit kritischen Tönen

Anhand verschiedener Protagonisten webt der Autor einen europäischen Flickenteppich aus amüsanten und skurrilen Geschehnissen. Viele Wendungen in z. B. französischer, englischer Sprache, Flämisch oder Polnisch, werden nicht übersetzt und im Text auch selten erklärt. So ist es für weniger sprachbegabte Leser nur bedingt lesbar. (Ich selbst bemühte ab und zu den Google-Übersetzer.) Auch springt der Autor ständig zwischen den Zeitformen hin und her. Grundsätzlich wird der Roman in der Vergangenheitsform erzählt, aber häufig verwendet Menasse auch den Präsens oder andere Vergangenheitsformen. Für mich aus keinem erkennbaren Grund und ohne nachvollziehbares Muster. Das hat mich stets aus meinem Lesefluss gerissen. (Ich weiß nicht, ob das Buch durch die Neuauflage als Taschenbuch nochmals überarbeitet wurde, daher kann ich nur das mir vorliegende Exemplar bewerten.)

Lässt man die stilistischen Fehler beiseite, findet man gut beschriebene Handlungen und Orte und faszinierende Charaktere. Es gibt im Buch auch einige gelungene Metaphern, die manche Zusammenhänge und Abläufe des großen bürokratischen EU-Apparates erklären sollen. Beispielsweise die Beschreibung über die Funktion der Milz im Körper, über die kaum jemand etwas weiß, die aber im Verborgenen verlässlich ihre Arbeit leistet.

Man erkennt beim Lesen auf jeden Fall, dass der Autor bereits einige Zeit in Brüssel verbracht hat und sich dort gut auskennt.

Mein Fazit: Keine Lektüre für „nebenbei“, aber für EU-Interessierte auf jeden Fall geeignet.


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