Infos:
- Autorin: Viola di Grado
- BTB Verlag
- Taschenbuch, 192 Seiten
- Erschienen am: 16.10.2024
- Aus dem Italienischen von Stefanie Römer
- Originaltitel: Fame Blu
- Originalverlag: La nave di Teseo
Klappentext:
»Queerness, Trauer, Isolation, Abhängigkeit und Liebe verschmelzen in diesem Roman über Heilung und Herkunft.« Booklist
Nach dem Tod ihres Zwillingsbruders reist eine einsame junge Frau von Rom nach Shanghai. Dort träumte ihr Bruder, ein talentierter Koch, davon, ein Restaurant zu eröffnen. Sie beginnt als Italienischlehrerin zu arbeiten und lernt eine mysteriöse junge Frau namens Xu kennen, die ebenfalls vor einer turbulenten Vergangenheit davonläuft. In der Düsternis verlassener Textilfabriken und verfallener Schlachthöfe entdecken die beiden eine extreme und erfüllende Dimension des erotischen Rituals.
»Blauer Hunger« nimmt die Leser*innen mit auf eine fesselnde Reise in die Tiefen der Psyche und in eine Stadt voller bildgewaltiger Träume und Geschichten.

Meine Meinung:
Episodenhaft erzählt die Protagonistin von ihrer Zeit in Shanghai, wo sie als Italienischlehrerin arbeitet. Ursprünglich wollte ihr Zwillingsbruder dort leben und ein Restaurant eröffnen, starb aber an einer Krankheit. So übernimmt die Protagonistin dieses Leben an seiner statt.
Blauer Hunger ist nicht leicht zugänglich und dennoch baut das Buch einen Sog auf, der mich immer weiter lesen ließ.
Die vorherrschende Stimmung ist melancholisch, düster und fast kalt. Das Denken und Handeln der Protagonistin dreht sich ganz um ihren verstorbenen Bruder, dessen Namen sie manchmal annimmt, die unterschiedlichen Plätze in Shanghai und um ihre Liebhaberin Xu, die schwer fassbar ist und immer etwas distanziert erscheint.
Die Ich-Erzählerin versucht, ihre Einsamkeit mit neuen Erfahrungen zu überdecken. So geht sie auch diese toxische Beziehung zu Xu ein, die geprägt ist durch einen Mangel an gegenseitigem Verständnis und animalischem Verhalten.
Teilweise wird die düstere Stimmung durch skurrile und unappetitliche Szenen und intensive Momente durchbrochen. Teilweise ist die Erzählung fast poetisch.
Das Buch ist in einer bildhaften Sprache geschrieben. So kann man sich die bunten Lichter und dunklen Ecken Shanghais sehr gut vorstellen. Sprachlich ist das Buch durchaus wunderschön. Vor allem lernt man nebenbei auch noch interessante Fakten über China und die chinesische Sprache.
Meine Verwirrung hatte keine Worte, in keiner Sprache. Und die chinesische Sprache ist wirbellos wie ein Weichtier. Ihr fehlen die Knochen der Konjugationen. Der grammatikalische Unterschied zwischen etwas machen und etwas schon gemacht haben, zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft steckt nicht in den Verben. Er besteht aus einer Prothese, einer Partikel, die nach Lust und Laune angehängt wird. Die Zeit ist ein Detail, das nur preisgegeben wird, wenn es unbedingt sein muss. […] Mit anderen Worten, auf Chinesisch gibt es keinen Unterschied zwischen „Ruben ist mein Bruder“ und „Ruben war mein Bruder“. (S. 109/110)
Am Vormittag von Heiligabend gab mir eine Verkäuferin, die einen Teller mit Häppchen in der Hand hielt, eine Ohrfeige, als ich eines nahm: Man musste die Hand aufhalten und warten, bis einem mit der dafür vorgesehenen Servierzange eines gereicht wurde. „Das wusste ich nicht“, flüsterte ich zutiefst gedemütigt. (S. 125)
Allerdings sind mir die Protagonistinnen fremd geblieben und ich konnte keine Verbindung zu ihnen aufbauen. Das liegt wohl auch an der Kürze des Romans. Vieles wird nur oberflächlich angerissen, die Charakterzüge und Entwicklungen der Protagonistinnen werden nicht vertieft.
Am Ende scheint ein Hoffnungsschimmer auf, der mich neugierig gemacht hat, wie es mit den beiden Frauen weiter gehen könnte. Eine wirkliche Auflösung der Geschichte erfährt man nicht. So endete es für mich etwas unbefriedigend.
Fazit:
Mal was anderes und durchaus lesenswert. Bitte bildet Euch Eure eigene Meinung.

Links zu weiteren Rezensionen:
- Lesejury
- Lovelybooks
- Goodreads (teilweise in anderen Sprachen)
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